Dienstag, 24. März 2015

Platon: Phaidros, 251

(251) Wer aber noch frische Weihung an sich hat, und das damalige vielfältig geschaut, wenn der ein gottähnliches Angesicht erblickt oder eine Gestalt des Körpers, welche die Schönheit vollkommen darstellen: so schaudert er zuerst, und es wandelt ihn etwas an von den damaligen Ängsten, hernach aber betet er sie anschauend an wie einen Gott und fürchtete er nicht den Ruf eines übertriebenen Wahnsinnes, so opferte er auch, wie einem heiligen Bilde oder einem Gotte, dem Liebling. Und hat er ihn gesehen, so überfällt ihn wie nach dem Schauder des Fiebers Umwandlung und Schweiß und ungewohnte Hitze. Durchwärmt nämlich wird er, indem er durch die Augen den Ausfluß der Schönheit aufnimmt, durch welchen sein Gefieder gleichsam begossen wird. Ist er nun durchwärmt, so schmilzt um die Keime des Gefieders hinweg, was schon seit lange verhärtet sie verschloß und hinderte hervorzutreiben. Fließt aber Nahrung zu, so schwillt der Kiel des Gefieders, und treibt hervorzutreten aus der Wurzel überall an der Seele, denn sie war ehedem ganz befiedert. Hiebei also gährt alles an ihr und sprudelt auf, und was die Zahnenden an ihren Zähnen empfinden, wenn sie eben ausbrechen, Jucken und Reiz im Zahnfleisch, eben das empfindet auch die Seele dessen, dem das Gefieder hervorzubrechen anfängt, es gährt in ihr, und juckt sie, und kitzelt sie, wenn sie das Gefieder heraustreibt. Wenn sie also auch die Schönheit des Knaben sehend und die davon ausströmenden und sich losreißenden Teile, die deshalb Reize heißen, in sich aufnehmend den Reiz befruchtet und erwärmt wird: so hat sie Linderung der Schmerzen und ist froh. Ist sie aber getrennt von ihm und wird trocken: so hemmen wieder die Mündungen jener Auswege, wo das Gefieder durchbricht, indem sie sich zusammenschrumpfend schließen, den Trieb des Gefieders. Dieser also mit dem Reiz eingeschlossen hüpft wie die schlagenden Adern, und sticht überall gegen die ihm bestimmten Öffnungen, so daß die ganze Seele von allen Seiten gestachelt umherwütet und sich abängstet; hat sie aber wieder Erinnerung des Schönen, so frohlockt sie. Da nun beides so mit einander vermischt ist, bangt sie sich über einen so widersinnigen Zustand, und aus dieser Unruhe gerät sie in Geistesverwirrung, und bei diesem Wahnsinn kann sie weder des Nachts schlafen, noch bei Tage irgendwo ausdauern, sondern sehnsüchtig eilt sie immer dahin, wo sie den, der die Schönheit besitzt, zu erblicken hofft. Hat sie ihn nun gesehen, und sich neuen Reiz zugeführt: so löst sich wieder auf, was vorher verstopft war; sie erholt sich, indem Stiche und Schmerzen aufhören, und kostet wieder für den Augenblick jene süßeste Lust. (252)


Montag, 23. März 2015

Höhlengleichnis aus Platons ›Politeia‹



Höhlengleichnis, Philosophie:
ein von Platon (›Staat‹, 7. Buch) verwendetes Gleichnis zur Verdeutlichung der verschiedenen menschlichen Erkenntnisstufen. In einer Höhle erblicken gefesselte Menschen auf eine Wand projizierte Schatten von Gegenständen, die hinter ihrem Rücken außerhalb der Höhle, durch ein Feuer beleuchtet, vorbeigetragen werden.
1. Wissensstufe: Die Bilder werden für die Realität gehalten.
2. Stufe: Ein Mensch befreit sich und durchschaut den illusionären Charakter seiner bisherigen Annahmen, hält aber die Situation in der Höhle für die Realität.
3. Stufe: Er verlässt die Höhle und erkennt die Wirklichkeit. 
Das Höhlengleichnis soll zeigen, dass Erkenntnis möglich ist als eine mit Selbstüberwindung und dem Risiko der Desorientierung verbundene, aber Befreiung bringende mühevolle Arbeit. Da sie immer auf schon vorhandenen und als solche zu durchschauenden Vormeinungen aufbaut, nennt Platon die Belehrung (Erziehung) eine ›Kunst der Umkehr‹. 
Die Phasen des Erkenntniserwerbs lassen sich in moderner Terminologie beschreiben als 1) unkritische Dogmatisierung unreflektierter Wahrnehmungs- und Denkgewohnheiten,
2) partiell-kritische Selbstorientierung,
3) total-kritische Begründung des Wissens. Mit jedem Schritt wird eine neue Stufe der Emanzipation erreicht.

Quelle: Brockhaus - Die Enzyklopädie: in 24 Bänden. 20., neu bearbeitete Auflage. Leipzig, Mannheim: F.A. Brockhaus 1996-99. Unsere Online-Ausgabe enthält aktualisierte Artikel aus der Brockhaus-Redaktion.

Verlag: © F.A. Brockhaus GmbH, Leipzig – Mannheim


Donnerstag, 19. März 2015

Prüfungstexte vorbereiten

Bei der 15-minütigen mündlichen Prüfung geht es darum, dass Sie in angemessener Dichte und Differenziertheit autonom und geordnet über einen literarischen Text reden können. Allenfalls wird Ihnen mit Fragen geholfen, aber wenn Sie sich auf die Fragen verlassen, laufen Sie Gefahr, die Kontrolle aus der Hand zu geben. Vielleicht werden dann Aspekte gefragt, zu denen Sie nicht viel zu sagen haben. Das kann verunsichermn und den Ablauf der Prüfung unangenehm machen.

Die Handlung und deren Ablauf zu kennen, wird vorausgesetzt, ebenso, dass man anhand eines Textauszugs erkennt, aus welchem Werk er stammt. Figuren und Figurenkonstellation, Thematik und Problematik kommen ebenso zur Sprache wie Sprache, Gattung, Aufbau, Entwicklung (z.B. Spannungsbögen) Stärken und Schwächen des Werks (aus Ihrer Sicht). Das subjektive Empfinden wird aber erst dann angesprochen, wenn der analytische Zugang zufriedenstellend war, vorher nicht.

1. Sekundärtexte

Lesen Sie Sekundärtexte, aber nicht solche, die sich nur mit der Handlung befassen oder die nur werten.
Eine gute Übersicht über die gesamte Handlung beinhaltet sämtliche wichtigen Figuren.
Erstellen Sie also auch eine Übersicht über die Figuren und deren Verhältnis zueinander.

Suchen Sie nach Sekundärtexten, in denen die Sprache einer Autorin oder eines Autors analysiert oder beschrieben wird. Lernen Sie taugliche Begrifflichkeiten, um in der Prüfung Fragen nach der Eigenart und Qualität der literarischen Sprache eines Werks beantworten können. Hier geht es z.B. um spezifische Eigenarten wie Wortschatz, Rhythmus, Figurenrede & Erzählerrede, Wirkung

Bei zeitgenössischen Autoren finden Sie im Netz Rezensionen von Zeotungen und Blogs. Lesen Sie diese mit einem wachen Auge, d.h. übernehmen Sie auch hier analytische Zugänge und Begriffe, um zum Beispiel die Wirkung eines Texts oder seine Themen auf den Punkt bringen zu können.


2. Verknüpfung mit der eigenen Lektüre

Stellen Sie sicher, dass Sie die Inhalte von Sekundärtexten mit der eigenen Lektüre verknüpfen können. Sie auswendig hersagen zu können, genügt nicht, im Gegenteil, Sie bringen sich damit in Schwierigkeiten. Erst wenn Sie anschaulich machen können, wie sich das bei einemText auswirkt oder an welchen Beispielen man das festmachen kann.

Dienstag, 17. März 2015

Fragen zu S. 25-40


1. Welche interessanten Details birgt die Beschreibung des falschen Jünglings? (S. 26)

2. »Dieses seltsame Fahrzeug […] der erschlaffendste Sitz der Welt ist?« (S. 27, siehe auch S. 29)
Die ganze Überfahrt in der Gondel bietet Verweise, die für die gesamte Erzählung interessant sind. Welche fallen Ihnen am meisten auf?

3. Auftritt Tadzio (32f): welche Beschreibungen fallen Ihnen am meisten auf oder gefallen Ihnen am besten? Begründen Sie Ihre Wahrnehmung.

4. Warum denkt Gustav von Aschenbach an Abreise und wieso entscheidet er sich letztlich dagegen? Suchen Sie nach relevanten Textstellen.

5. Er liebte das Meer aus tiefen Gründen […] Form des Vollkommenen.« (S. 38) Was fangen wir mit dieer Passage an? Warum könnte sie interessant sein?

6. »[E]r stellte das Göttlich-Nichtssagende in menschliche Beziehung« (S. 39) Was ist damit gemeint?

Mittwoch, 25. Februar 2015

Vergleich von drei Formen literarischen Erzählens aus dem gleichen Jahrzehnt

Drei bekannte Autoren derselben Epoche, aber nicht derselben literarischen Epoche. Drei bekannte Erzählungen. Drei ganz unterschiedliche Formen literarischen Erzählens. 

Gesucht werden 
I. Eigenarten des Erzählens, der jeweiligen Darstellung der literarischen Welt.
III. Unterschiede und Parallelen
III: Sprachliche Möglichkeiten, diese zu benennen und zu beschreiben. 


  1. Der erste Satz: Ein kalter oder ein heißer Beginn? Was wird erzählt?
  2. Irritationsgrad und -ursachen? Wie zugänglich wird vermittelt?
  3. Was erfahren wir über die Hauptfigur?
  4. Eigenart der jeweiligen Sprache: Klarheit, Syntax, Wortwahl, Schwierigkeitsgrad?
  5. Atmosphäre und Wirkung



Ich beginne meine Geschichte mit einem Erlebnisse der Zeit, wo ich etwa zehn bis elf Jahre alt war und in die Lateinschule unseres Städtchens ging.
Viel duftet mir da entgegen und rührt mich von innen mit Weh und mit wohligen Schauern an, dunkle Gassen und helle, Häuser und Türme, Uhrschläge und Menschengesichter, Stuben voll Wohnlichkeit und warmem Behagen, Stuben voll Geheimnis und tiefer Gespensterfurcht. Es riecht nach warmer Enge, nach Kaninchen und Dienstmägden, nach Hausmitteln und getrocknetem Obst. Zwei Welten liefen dort durcheinander, von zwei Polen her kamen Tag und Nacht.
Die eine Welt war das Vaterhaus, aber sie war sogar noch enger, sie umfaßte eigentlich nur meine Eltern. Diese Welt war mir großenteils wohlbekannt, sie hieß Mutter und Vater, sie hieß Liebe und Strenge, Vorbild und Schule. Zu dieser Welt gehörte milder Glanz, Klarheit und Sauberkeit, hier waren sanfte freundliche Reden, gewaschene Hände, reine Kleider, gute Sitten daheim. Hier wurde der Morgenchoral gesungen, hier wurde Weihnacht gefeiert. In dieser Welt gab es gerade Linien und Wege, die in die Zukunft führten, es gab Pflicht und Schuld, schlechtes Gewissen und Beichte, Verzeihung und gute Vorsätze, Liebe und Verehrung, Bibelwort und Weisheit. Zu dieser Welt mußte unsre Zukunft gehören, so mußte sie klar und reinlich, schön und geordnet sein.

Das erste Kapitel in Hermann Hesses ›Demian‹ (1919)



Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. Er lag auf seinem panzerartig harten Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen geteilten Bauch, auf dessen Höhe sich die Bettdecke, zum gänzlichen Niedergleiten bereit, kaum noch erhalten konnte. Seine vielen, im Vergleich zu seinem sonstigen Umfang kläglich dünnen Beine flimmerten ihm hilflos vor den Augen.
»Was ist mit mir geschehen?«, dachte er. Es war kein Traum. Sein Zimmer, ein richtiges, nur etwas zu kleines Menschenzimmer, lag ruhig zwischen den vier wohlbekannten Wänden. Über dem Tisch, auf dem eine auseinandergepackte Musterkollektion von Tuchwaren ausgebreitet war – Samsa war Reisender – hing das Bild, das er vor kurzem aus einer illustrierten Zeitschrift ausgeschnitten und in einem hübschen, vergoldeten Rahmen untergebracht hatte. Es stellte eine Dame dar, die mit einem Pelzhut und einer Pelzboa versehen, aufrecht dasaß und einen schweren Pelzmuff, in dem ihr ganzer Unterarm verschwunden war, dem Beschauer entgegenhob.
Gregors Blick richtete sich dann zum Fenster, und das trübe Wetter – man hörte Regentropfen auf das Fensterblech aufschlagen – machte ihn ganz melancholisch. »Wie wäre es, wenn ich noch ein wenig weiterschliefe und alle Narrheiten vergäße«, dachte er, aber das war gänzlich undurchführbar, denn er war gewöhnt, auf der rechten Seite zu schlafen, konnte sich aber in seinem gegenwärtigen Zustand nicht in diese Lage bringen. 

Der Beginn von Franz Kafkas ›Die Verwandlung‹ (1912/1915)

Beschreibung einer weiteren Figur

An einem freien Nachmittag — ich war wenig mehr als zehn Jahre alt — trieb ich mich mit zwei Knaben aus der Nachbarschaft herum. Da kam ein größerer dazu, ein kräftiger und roher Junge von etwa dreizehn Jahren, ein Volksschüler, der Sohn eines Schneiders. Sein Vater war ein Trinker und die ganze Familie stand in schlechtem Ruf. Franz Kromer war mir wohl bekannt, ich hatte Furcht vor ihm, und es gefiel mir nicht, als er jetzt zu uns stieß. Er hatte schon männliche Manieren und ahmte den Gang und die Redensarten der jungen Fabrikburschen nach. Unter seiner Anführung stiegen wir neben der Brücke ans Ufer hinab und verbargen uns vor der Welt unterm ersten Brückenbogen. Das schmale Ufer zwischen der gewölbten Brückenwand und dem träg fließenden Wasser bestand aus lauter Abfällen, aus Scherben und Gerümpel, wirren Bündeln von verrostetem Eisendraht und anderem Kehricht. Man fand dort zuweilen brauchbare Sachen; wir mußten unter Franz Kromers Führung die Strecke absuchen und ihm zeigen, was wir fanden. Dann steckte er es entweder zu sich oder warf es ins Wasser hinaus. Er hieß uns darauf achten, ob Sachen aus Blei, Messing oder Zinn darunter wären, die steckte er alle zu sich, auch einen alten Kamm aus Horn. Ich fühlte mich in seiner Gesellschaft sehr beklommen, nicht weil ich wußte, daß mein Vater mir diesen Umgang verbieten würde, wenn er davon wüßte, sondern aus Angst vor Franz selber. Ich war froh, daß er mich nahm und behandelte wie die andern. Er befahl, und wir gehorchten, es war, als sei das ein alter Brauch, obwohl ich das erstemal mit ihm zusammen war.
Schließlich setzten wir uns an den Boden. Franz spuckte ins Wasser und sah aus wie ein Mann; er spuckte durch eine Zahnlücke und traf, wohin er wollte. Es begann ein Gespräch, und die Knaben kamen ins Rühmen und Großtun mit allerlei Schülerheldentaten und bösen Streichen. Ich schwieg und fürchtete doch, gerade durch mein Schweigen aufzufallen und den Zorn des Kromer auf mich zu lenken. Meine beiden Kameraden waren von Anfang an von mir abgerückt und hatten sich zu ihm bekannt, ich war ein Fremdling unter ihnen und fühlte, daß meine Kleidung und Art für sie herausfordernd sei. Als Lateinschüler und Herrensöhnchen konnte Franz mich unmöglich lieben, und die beiden andern, das fühlte ich wohl, würden mich, sobald es darauf ankäme, verleugnen und im Stich lassen.


Aber der Prokurist hatte sich schon bei den ersten Worten Gregors abgewendet, und nur über die zuckende Schulter hinweg sah er mit aufgeworfenen Lippen nach Gregor zurück. Und während Gregors Rede stand er keinen Augenblick still, sondern verzog sich, ohne Gregor aus den Augen zu lassen, gegen die Tür, aber ganz allmählich, als bestehe ein geheimes Verbot, das Zimmer zu verlassen. Schon war er im Vorzimmer, und nach der plötzlichen Bewegung, mit der er zum letztenmal den Fuß aus dem Wohnzimmer zog, hätte man glauben können, er habe sich soeben die Sohle verbrannt. Im Vorzimmer aber streckte er die rechte Hand weit von sich zur Treppe hin, als warte dort auf ihn eine geradezu überirdische Erlösung.

Der Tod in Venedig (1911/12)



Eine schöne Einführung aus einer gewissen Übersicht heraus finden Sie in dieser Rezension und ein bisschen ausführlicher ist diese Übersicht.

Eine kritische Nachlese aus dem Jahr 2012 aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) finden Sie hier.




Außerdem: ein kleiner Ausschnitt aus einer bekannten Verfilmung von Luchino Visconti (1971), in der die Musik Gustav Mahlers eingesetzt wurde, einem der historischen Vorbilder der Hauptfigur Gustav von Aschenbach (nebst dem Opernkomponisten Richard Wagner).




Bild aus einer Theaterproduktion, die seit zwei Jahren in der Berliner Schaubühne läuft 
meine Rezension dazu